Das Aktionsbündnis PRO Regionalverkehr Osthavelland nimmt Stellung zum S-Bahn-Gutachten

Falkensee, 21. April 2008
Stellungnahme zum S-Bahn-Gutachten
(siehe auch MAZ vom 22. April 2008)
(Standardisierte Bewertung S-Bahn Falkensee)

Zentrale Aussagen:
1. Das Gutachten bestätigt, dass der Bau einer S-Bahn wegen der damit verbundenen Reduzierung des Regionalbahnangebots für die Pendler von den Bahnhöfen Nauen, Brieselang, Finkenkrug, Falkensee, Seegefeld und Albrechtshof mehr Nach- als Vorteile bedeuten würde. Grund sind die langen Fahrzeiten der S-Bahn ins Berliner Stadtzentrum.
2. Das Gutachten berücksichtigt nicht, dass sich das Regionalverkehrsangebot auf der Falkenseer Strecke in den vergangenen Jahren wieder verbessert hat. Grund sind die Einführung der RB 14 zur Berliner Stadtbahn, das schnelle Verkehrsangebot der RE 4 über Jungfernheide zum Hauptbahnhof und bessere Anschlüsse von der RB 10 in Spandau zur RE 2 aus Rathenow. Der sogenannte Ohnefall (ohne S-Bahn) ist somit attraktiver, als es im Gutachten erscheint.
3. Die sogenannte BB-Variante wird verschiedentlich dargestellt als Kompromissmodell, dass die Vorteile von S-Bahn und Regionalbahn verbinden soll. Tatsächlich bedeutet sie gravierende Verschlechterungen: Die Bahnhöfe Albrechtshof und Seegefeld würden ganz vom schnellen Regionalverkehr abgehängt, die Bahnhöfe Finkenkrug und Brieselang außerhalb der Hauptverkehrszeit, also vormittags, mittags, abends und am Wochenende.
4. Einige Verkehrsprognosen des Gutachtens sind rätselhaft. So bleibt unklar, warum durch die S-Bahn die Fahrgastzahlen ab Albrechtshof und Seegefeld massiv zunehmen sollen, obwohl sich die Fahrzeiten nach Berlin deutlich verlängern. Auch wird nicht berücksichtigt, dass viele Pendler auf die schnellen RE-Züge ab Falkensee, evtl. auch ab Dallgow-Döberitz, ausweichen dürften, um der langsamen S-Bahn zu entgehen.
5. Die Baukosten für die S-Bahn sind zu niedrig angesetzt. Das zeigen Vergleiche mit anderen Strecken und öffentlichen Projekten wie zum Beispiel dem Bau der S-Bahn nach Teltow.

Im Detail: Was das Gutachten aussagt:

Für die Fahrgäste westlich von Falkensee wäre eine S-Bahn in Verbindung mit Einschränkungen beim RB-Verkehr so unattraktiv, dass die Gutachter trotz einer ÖPNV-Investition von mindestens 50 Millionen Euro insgesamt von sinkenden Fahrgastzahlen in diesem Bereich ausgehen. Dies gilt auch für die Mitfall-Variante BB – dass diese günstiger abschneidet als die reine Mitfallvariante ergibt sich nur daraus, dass mehr Menschen noch die Chance haben, die S-Bahn zu vermeiden.

Das Fazit der Gutachter lautet: „Die beiden nutzenrelevanten Teilindikatoren der Zielträgergruppe Fahrgäste haben negative Vorzeichen (Reisezeit und Kosten). Dies bedeutet, dass die Realisierung des S-Bahn-Vorhabens, gemessen an der ÖPNV-Angebotssituation der Ohnefallvariante, im Eckwert über alle betroffenen Fahrgäste aus Sicht des Fahrgastes mehr Nachteile als Vorteile hat.“ (S.110) Diese Aussage bezieht sich zwar nur auf die reine Mitfallvariante, dafür aber auf alle Fahrgäste inkl. Berlin. Für die Brandenburger Fahrgäste gilt diese Aussage nach den genannten Daten aber auch in der BB-Variante.

Die BB-Variante ist eine Mogelpackung, wenn sie ein Nebeneinander von S-Bahn und RB-Verkehr suggeriert. Die Bahnhöfe Seegefeld und Albrechtshof würden ihren RB-Anschluss ganz verlieren, Finkenkrug und Brieselang bliebe außerhalb der Hauptverkehrszeiten nur die zeitaufwändige Option eines Umsteigens in Falkensee – einschließlich des Risikos, dort den Anschluss zu verpassen, da S-Bahnen üblicherweise nicht warten (und dies bei ohnehin störanfälligem, eingleisigem Verkehr auch nicht sinnvoll könnten). Falkensee und Nauen behielten zwar ihren RE-Anschluss, aber nur einmal pro Stunde (statt mit RB bisher 3-4-mal). Ansonsten bleibt auch hier außerhalb der Hauptverkehrszeit nur die langsame S-Bahn.

Die BB-Variante würde auch den Halbstundentakt für Finkenkrug und Brieselang zugunsten eines 20/40-Taktes aufgeben. Ein solcher ungleichgewichtiger Takt auch in der HVZ führt wegen der damit anfallenden längeren Verkehrspause erfahrungsgemäß zu einer deutlich geringeren Akzeptanz des Gesamtangebots.

„Die S-Bahn-Fahrzeiten zur Stadtbahn sind infolge der höheren Haltestellendichte wesentlich länger als mit der RB10. Die betroffenen Fahrgäste erfahren damit durch das dem Mitfall unterstellte ÖPNV-Konzept Nachteile“ (S.111) Dieser Nachteil gilt wieder in erster Linie für das Land Brandenburg.

Neben den offenbar viel zu niedrig angesetzten Baukosten (s.u.) entstünden beim Betrieb einer S-Bahn allein für den Unterhalt von Infrastruktur und Fahrzeugen Kosten von rund 1,3 Millionen Euro im Jahr. Dafür ließen sich viele Regionalbahnkilometer finanzieren. Zwar entstünden im Gegenzug auch Einsparungen von rund 950.000 Euro bei Personalkosten. Dies betrifft aber fast ausschließlich die BVG, was für Brandenburg keinen Vorteil bringt.

Eine S-Bahn ab Falkensee würde laut Gutachten in der BB-Variante über den Tag verteilt nur von rund 2000 Fahrgästen benutzt. Bei angenommenen drei Fahrten pro Stunde zwischen 04.30 Uhr und 0.30 Uhr sind das im Durchschnitt gerade 30 bis 35 Fahrgäste pro Zug, in den Nebenzeiten also noch deutlich weniger. In Seegefeld und Albrechtshof steigen die Fahrgastzahlen nur deswegen spürbar an, weil dort auch in der BB-Variante keine RB mehr verkehren soll.

Die Auslastung der S-Bahn würde in der BB-Variante selbst auf Berliner Gebiet (bis Spandau) und in den Spitzenzeiten auf allen Teilstrecken weit unterhalb des VDV-Richtwerts von 65 Prozent liegen. Erreicht würden nur bis zu 31 Prozent.

Im Detail: Was aus dem Gutachten nicht hervorgeht

Die angesetzten Baukosten von rund 45 Millionen Euro dürften viel zu niedrig angesetzt sein. Das ergibt sich aus dem Vergleich mit den Kosten/Kilometer bei ähnlichen Projekten wie dem Bau der S-Bahn nach Teltow sowie generell aus bei öffentlichen Projekten üblichen Kostensteigerungen. Durch höhere Baukosten würde sich der Kosten-Nutzen-Indikator aber weiter nach unten verschieben.

Das Gutachten berücksichtigt nicht die aktuelle Verkehrssituation mit der durchgebundenen RB 14 zur Berliner Stadtbahn sowie die in den vergangenen Jahren deutlich gestiegenen Fahrgastzahlen der RE4 über Jungfernheide zum Hauptbahnhof. Auch die in den vergangenen beiden Jahren erreichten Verbesserungen der Umsteigeverbindungen in Spandau zwischen RB10 und RE2 (von/nach Rathenow) sind nicht eingerechnet. Diese Verbesserungen machen aber die Ohnefallvariante (mit RB10 in der HVZ bis Charlottenburg) wesentlich attraktiver als im Gutachten angegeben, wodurch sich die gesamte Kosten-Nutzen-Relation erheblich zugunsten des Regionalverkehrs und zuungunsten der beiden S-Bahn-Varianten verschiebt. Nach der langfristigen SPNV-Planung des Landes soll ein ähnlich gutes RB-Angebot zumindest dann beibehalten werden, wenn keine S-Bahn-Verlängerung erfolgt.

Das Gutachten unterstellt im Mitfall und im Mitfall BB stagnierende oder sogar leicht sinkende Fahrgastzahlen in der RE4. Dies ist jedoch völlig unrealistisch. Vielmehr wäre bei einer Einschränkung des RB-Angebots mit einer drastischen Zunahme der Fahrgastzahlen in der RE4 zu rechnen. Dies dürfte deren Kapazität übersteigen, da auch eine in der HVZ nach Charlottenburg durchgebundene RB10 nicht gleichermaßen attraktiv wäre wie heute die RB14. Das zeigt sich heute bereits an der stark ungleichen stärkeren Auslastung der RB14 im Vergleich zur RB10, auch wenn sich dies durch die besseren Umsteigemöglichkeiten in Spandau zur RE2 etwas relativiert hat.

Das Gutachten berücksichtigt auch nicht die heute bereits beobachtbaren Mitnutzung des Bahnhofs Dallgow-Döberitz durch Fahrgäste vor allem aus dem südlichen Finkenkrug und dem südwestlichen Seegefeld je nach Attraktivität des jeweiligen Verkehrsangebots. Auch hier wäre damit zu rechnen, dass im Mitfall verstärkt die schnelle RE2 genutzt würde – zu Lasten der ohnehin grenzwertig schwachen Rentabilität der S-Bahn.

Der im Gutachten unterstellte drastische Anstieg der Fahrgastzahlen insgesamt in Albrechtshof im Fall einer S-Bahn-Verlängerung ist nicht nachvollziehbar. Es ist nicht erkennbar, wo diese Fahrgäste herkommen sollen.

In der politischen Diskussion ist zuletzt häufiger vom Offenhalten einer verkehrsmittelunabhängigen Option auf ein drittes Gleis die Rede. Ein drittes Gleis ist gut (auch wenn der eigentliche Verkehrsengpass zur Zeit eher im Bahnhof Spandau liegt), doch sollte dieses von Vornherein als Bahngleis mit Wechselstrom-Oberleitung geplant werden. Dies wäre auch deutlich billiger als ein S-Bahn-Gleis, da auf Teilen der Spandauer Strecke (dort, wo es am wenigsten Platz für ein zusätzliches Gleis gibt) sowie im Bahnhof Falkensee bereits jeweils ein viergleisiger Ausbau gegeben ist. Zudem könnte ein solches Gleis bei Störungen oder Bauarbeiten auch vom Fernverkehr als Ausweichmöglichkeit genutzt werden.

Begriffsklärungen
Ohnefall: Ist-Zustand mit schnellen Verkehrsangeboten von Regionalbahn und Regionalexpress, aber ohne S-Bahn. Nicht berücksichtigt werden allerdings Verbesserungen des Regionalverkehrsangebots in den vergangenen Jahren, besonders die RB 14.
Ohnefallvariante: Wie Ohnefall, aber mit der Durchbindung von Zügen der RB 10 in der Hauptverkehrszeit bis Berlin-Charlottenburg. Diese Durchbindung ist derzeit die Realität, aber plus RB 14.
Mitfall: Situation nach Fertigstellung einer S-Bahn bis Falkensee und gleichzeitiger Abschaffung der Regionalbahnen zwischen Falkensee und Spandau. Übrig blieben stündliche Regionalexpresszüge mit Halt nur in Nauen und Falkensee sowie Regionalbahnen zwischen Nauen und Falkensee, wo dann in die S-Bahn oder den Regionalexpress umgestiegen werden müsste.
Mitfall BB: Wie Mitfall aber mit einer Durchbindung der Regionalbahnen ab Nauen bis Berlin-Charlottenburg in der Hauptverkehrszeit, jedoch ohne Halt in Seegefeld und Albrechtshof.

Aktuelles Zugangebot
RB 14: Von Nauen zur Berliner Stadtbahn mit Halt an allen Bahnhöfen, stündlich
RB 10: Von Nauen bis Berlin-Spandau, in der Hauptverkehrszeit bis Berlin-Charlottenburg, in der übrigen Zeit in der Regel in Spandau Anschluss an die RE 2 zur Berliner Stadtbahn, stündlich, ergibt zusammen mit der RB 14 einen Halbstundentakt
RE 4: Von Wittenberge über Nauen, Falkensee, Spandau, Jungfernheide nach Berlin Hbf und Potsdamer Platz, stündlich
RE 2: Von Rathenow über Dallgow-Döberitz, Staaken und Spandau zur Berliner Stadtbahn
RE 6: Von Neuruppin über Falkensee nach Berlin-Spandau, abends spät auch Halt in Finkenkrug
Derzeit beträgt die Fahrzeit von Falkensee nach Berlin-Hauptbahnhof je nach benutztem Zug zwischen 16 und 25 Minuten. Mit der S-Bahn wären es etwa 40 Minuten.

Aktionsbündnis Pro Regionalverkehr Osthavelland
Zusammenschluss von Pendlerinitiativen aus Brieselang, Falkensee und Berlin-Spandau. Setzt sich ein für einen schnellen, zuverlässigen Schienenverkehr von allen Bahnhöfen des östlichen Havellandes ins Berliner Zentrum.